Tischgespräch

FUNDE MIT STRAHLKRAFT BIS HEUTE

30.11.2022 | 08:52

Andreas Gut
Museumsleiter des Alamannenmuseums Ellwangen und Archäologe

Im Tischgespräch erzählt Andreas Gut, Museumsleiter des Alamannenmuseums Ellwangen und Archäologe, wie er schon als Teenager mit Archäo­logie in Berührung kam und wie sein Weg bis nach Ellwangen führte, wo er seit mehr als 20 Jahren das Gesicht des Alamannenmuseums ist.

Wie sind Sie eigentlich Archäologe geworden, oder auch Historiker?

 

Ich bin Archäologe. Da muss man fachlich trennen. Die Archäologen kümmern sich zwar genauso wie die Historiker um die Geschichte, aber der Unterschied besteht bei den angewandten Mitteln. Die Archäologen arbeiten ohne Schriften, Historiker sind Spezialisten für Schriftquellen. Sobald es um Texte geht, ist es ein Fall für den Historiker. Der Archäologe versucht auf andere Weise zu erforschen, was mit Schriftquellen nicht zu ermitteln ist.

 

Ich weiß, Sie haben ein langes Studium absolviert, Ur- und Frühgeschichte.

 

In meinem Fall dauerte das Studium acht Jahre. Ich dachte damals, das wäre vielleicht besonders lang, auch im Hinblick auf meine junge Familie, in dieser Zeit kamen meine drei Kinder zur Welt. Aber ich habe festgestellt, dass alle, die mit mir im Studium angefangen haben, auch so lange studiert haben, weil es diese Zeit tatsächlich braucht, um die nötigen Erfahrungen zu sammeln, gerade auf Ausgrabungen. Und sinnvollerweise sollte man ja auch einmal eine andere Universität gesehen haben. Von der Uni in Tübingen bin ich deswegen auch ein Jahr nach Portugal gewechselt, nach Lissabon, bevor ich nach Tübingen zurückkehrte und 1990 mein Studium mit dem Magister abgeschlossen habe.

 

Haben Sie während Ihres Studiums an Ausgrabungen teilgenommen?

 

In meinem Fall ist das eine gewisse Überraschung: tatsächlich schon vorher. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Blut geleckt für dieses Thema habe ich schon als Schüler. Bei uns gab es da die Ausgrabungen, die das Landesdenkmalamt in Stuttgart und dessen Nachfolger, das heutige Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart mit Sitz in Esslingen, organisieren. Ein Impuls für mich war bestimmt die vierteljährliche Zeitschrift der Denkmalpflege bei meinen Eltern zu Hause. Zum Hintergrund: Ich bin in einem evangelischen Pfarrhaus groß geworden, da war das irgendwie auch Pflichtlektüre und lag vermutlich auch für die Besucher des Pfarramts aus. Jedenfalls habe ich mir dann tatsächlich so in der zehnten Klasse überlegt, dass ich gerne einmal bei einer Ausgrabung mitarbeiten würde. Dahinter steckte aber die simple Überlegung: einen Ferienjob machen und Geld verdienen.

 

Auch Höhlen spielten anfangs eine Rolle?

 

Wirklich herangetastet an das Thema Archäologie habe ich mich über den Umweg „Höhlen“. Das war aber auch nur ein Hobby. Bevor ich mich dann wirklich der Archäologie zuwendete, war ich schon Höhlenforscher. Ich bin in Nürtingen groß geworden. An meiner Schule, dem dortigen Hölderlin-Gymnasium, hing eines Tages am Schwarzen Brett ein simpler Zettel von ein paar Elft- und Zwölftklässlern „Wer gründet mit uns eine Höhlenforschungsgruppe?“. Ich war einer der ersten, der sich gemeldet hat. Das „Höhlenblättle“ der neuen Gruppe entstand bei uns im Pfarramt, ich habe fast noch den Alkoholduft des Hektografiergeräts mit der Kurbel und den lila Blättern in der Nase.

 

Der entscheidende Impuls kam, nachdem wir das so ein, zwei Jahre gemacht haben. Ich war um die 15. Da sagt plötzlich einer in der Gruppe, der etwas älter war, er hätte jetzt einmal so eine Ausgrabung mitgemacht. Er hat so davon geschwärmt und gesagt, das sei das ideale Abenteuer, man würde im Zelt leben, wirklich wie im Forschungscamp, und zugleich würde man auch Geld verdienen. Und da weiß ich noch, dass ich mich beim Landesdenkmalamt beworben habe, genauso wie andere aus unserer Gruppe auch.

 

Und das hat dann sofort funktioniert?

 

Nein, bei mir war die Enttäuschung groß, als das Landesdenkmalamt zurückschrieb, man hätte für dieses Jahr schon genügend Grabungshelfer und müsse mir leider eine Absage erteilen. Ich erhielt also eine Absage, aber mein Klassenkamerad hat eine Zusage bekommen. Das hätte schon das Aus sein können. Ich habe dann einfach hartnäckig noch einmal geschrieben, dass sie meinem Freund zugesagt und wir uns überlegt hätten, dass es mit der Logistik und allem viel einfacher sei, uns beide aus einem Ort zu wählen, wenn wir von dort zu zweit kommen. Das hat dann gewirkt. Meine erste Ausgrabung war gar nicht so weit von hier, nämlich am römischen Limes in Welzheim, im dortigen Ostkastell direkt über dem Leinufer.

 

Da habe ich einen ganzen Sommer im Jahr 1977 mitgegraben, und das ging dann tatsächlich so weiter. Die Kontakte gingen dann schon über den Grabungsleiter, das war der spätere Chef des Landesdenkmalamts, Professor Planck, und noch konkreter über den örtlichen Grabungstechniker. Bei dem habe mich schon immer für das nächste Jahr angemeldet.

 

Meine Sommer habe ich so drei Jahre lang bis zum Abitur verbracht. 1977 in Welzheim, dann 1978 beim römischen Gutshof in Lauffen am Neckar mitten in den Weinbergen. 1979 wieder die Römer in Köngen am Neckar, von Nürtingen mit dem Fahrrad erreichbar. Zum Abschluss gab es 1980 zur Abwechslung einmal keine Römer, sondern Jungsteinzeit in Stuttgart-Weilimdorf. Und das war dann ja auch so die Zeit, in der ich überlegt habe, was ich beruflich machen könnte. Ich studiere Archäologie!

 

Sie haben in Tübingen studiert.

 

Ja, ich habe einfach von meiner Heimat aus das nächstgelegene gewählt: Tübingen. Und schon zu Beginn hätte ich fast schon einen Fehler mit dem Fach gemacht, denn ich wollte mich bereits für Klassische Archäologie einschreiben. Das erschien mir logisch damals. Bis mir da jemand sagte: „Nee, nee, Klassische Archäologie betrifft aber dann archäologische Fundstellen am Mittelmeer, Italien und Griechenland. Das kann man zwar bei uns studieren, aber man hat ständig mit griechischen und italienischen Funden zu tun. Das heißt, man ist dann auch ständig dort.“ Ich wollte das natürlich so ähnlich haben, wie ich es hier erlebt hatte. Da wurde mir gesagt „Nee, das heißt Vor- und Frühgeschichte“, inzwischen allgemein Ur- und Frühgeschichte genannt.

 

Wo ist da der Unterschied?

 

Es geht um die Rolle der Schriftquellen. Bei „Vor- und Frühgeschichte“ definiert das Vorhandensein von Schriftquellen die Frühgeschichte, und alles, was davor liegt, ist Vorgeschichte. Mit der Bezeichnung Urgeschichte ist zwar dasselbe gemeint, aber hier kommt das gewachsene Selbstbewusstsein der Archäologen zum Tragen, denn darin drückt sich aus, dass auch schriftlose Zeiten bereits Geschichte sind. Das ist also ein kleiner Streit unter den Fachdisziplinen, wenn man so will. Die Historiker werden immer sagen, dass Geschichte mit den Schriftquellen beginnt (er lacht).

 

Frühgeschichte im Unterschied zu Urgeschichte ist so definiert, dass es für das zu untersuchende Gebiet bereits Schriftquellen gibt. Wie zum Beispiel bei den Germanen, also den Alamannen und ihren Nachbarstämmen. Die kamen durchaus mit Schriftkultur in Berührung, aber trotzdem dominiert noch die Archäologie, wenn es darum geht, die Zeit zu beschreiben.

 

Ich bin ja als Schüler mit den Römern groß geworden. Beim Römischen würde man auf jeden Fall sagen, dass Schriftquellen 50 Prozent der Erkenntnisse ausmachen. Doch die Germanen, die hierzulande nach den Römern lebten, waren selbst schriftlos. Wir haben von ihnen gerade einmal ein paar Runeninschriften, maximal zehn Wörter pro Inschrift, die meistens nur irgendwelche Namen sind. Die bekannteste aus Lauchheim ist nur ein Rest auf der Rückseite eines Schmuckstücks. Dort steht „Aonofada“, das war wohl einfach der Name der Trägerin. Solche Runeninschriften sind immer schwer zu deuten. Die längste Inschrift bei den Alamannen wird als „Liebes der Imuba von Hamal. Blidgund ritzte die Runen“ gedeutet. Eine Frau hat sich da als Schreiberin verewigt. Aus solchen Nachrichten könnte man jetzt keine Geschichtsschreibung ableiten.

 

Die Forschung geht immer weiter. Das heißt, Sie beschäftigen sich jeden Tag mit den Ausstellungsstücken und den Forschungsergebnissen, oder?

 

Da gilt ja wirklich, dass sich mit jeder neuen größeren Ausgrabung, jeder neuen Forschungspublikation der Forschungsstand ziemlich ändern kann. Deswegen ist ein wichtiger Teil im Museum unsere Bibliothek unterm Dach. Recht schnell waren wir bei einer Größen­ordnung von 5.000 Bänden, aber inzwischen geht uns da so massiv der Platz aus, dass wir jetzt schon dreimal die Regale erweitert und auch die Arbeitstische von dort verbannt haben. Bei geschätzt 10.000 Bänden.

 

Forschung findet im Alamannenmuseum nicht statt. Was sind Ihre Schwerpunkte?

 

Mein Hauptschwerpunkt ist eher das Ausstellen mit dem Stichwort Vermitteln. Also tatsächlich auch die Funde, die wir in den Vitrinen zeigen, zu erläutern oder einfach zum Sprechen zu bringen. Und dann eben auch vieles, was mit Sonderausstellungen in anderen Häusern zu tun hat. Leihverkehr wäre da das Stichwort: Auf der einen Seite planen und zeigen wir eigene Sonderausstellungen, auf der anderen Seite sind wir aber auch Leihgeber.

 

Mit den Funden aus Lauchheim können wir in Ellwangen noch manches ein bisschen ausführlicher erzählen, aber jetzt gibt es gerade wieder eine Anfrage für 2024. In zwei Jahren wird eine große Landesausstellung des Archäologischen Landesmuseums über die Archäologie des ersten Jahrtausends nach Christus stattfinden. Das beginnt mit den Römern. Die Alamannen sind dort ein großer Schwerpunkt.

 

Koordiniert wird das alles in unserem 2004 gegründeten wissenschaftlichen Beirat, bestehend aus Vertretern der Denkmalpflege, der Landesmuseen, der Universitäten und der Schulen. Dort hieß es schon in der ersten Sitzung, dass unsere Personalausstattung als „Ein-Mann-Museum“ zum eigenständigen Forschen nicht ausreiche. Da hätte ich mir im Grunde noch ein wenig mehr gewünscht.

 

Das heißt, Sie geben auch immer wieder Ausstellungsstücke für andere Ausstellungen her.

 

Ja, das ist gerade mit dem Stichwort Lauchheim so, das Alamannenmuseum ist ja gegründet worden wegen der dortigen Ausgrabungen, sozusagen als Museum zu den Ausgrabungen von Lauchheim. Im September 2001 haben wir eröffnet, und da die Lauchheimer Funde noch so neu waren, ging ab Dezember 2002 schon einmal ganz vieles von dem, was wir ausstellen, in eine große, bundesweite Ausstellung im Martin-Gropius-Bau nach Berlin. Da haben die Landesarchäologen eine Ausstellung gemacht, was sie über die letzten 25 Jahre hinweg gefunden haben. Das war dann eine wunderbare Werbung für uns, wenn auch indirekt, weil da das frühe Mittelalter vor allem mit unserem Schwerpunkt in Lauchheim bestritten wurde.

 

Sie haben schon ziemlich viele Sonderausstellungen im über 20-jährigen Bestehen des Alamannenmuseums durchgeführt.

 

Mit der des letzten Jahres sogar 36. Wir haben uns die simple Regel vorgenommen, einmal im Jahr eine größere neue Ausstellung zu bieten, und dabei war auch schon klar, dass wir das nicht schaffen, jedes Mal eine eigene neue zu planen, sondern man hat frühzeitig abgesprochen, im Wechsel eine Ausstellung selbst zu planen und eine zu übernehmen. Wir übernehmen zum Beispiel auch Wanderausstellungen, die sich bei uns als Station zeigen lassen.

 

Eine Sonderausstellung zu planen ist sicher sehr aufwendig.

 

Große Ausstellungen sind aufwendig und haben einigen Vorlauf. Die letzten Beispiele waren bei uns „Goldblattkreuze“ oder „Bernstein“. Zwei große Sachen. Das waren mindestens anderthalb Jahre an Vorarbeit. Man muss die Ausstellungsstücke anfragen, etwa bei großen Leihgebern wie dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart oder dem Rheinischen Landesmuseum in Bonn, nur als Beispiel. Die wollen oft schon zwei Jahre vorher gefragt werden. Also zum Teil gab es Absagen, weil wir mit einem Jahr Vorlauf zu spät dran waren.

 

Dann bleibt nur die eigene Sammlung…

 

Hier muss ich klarstellen. Wir sind vom Namen her ein Museum, haben aber die Besonderheit, dass es bei uns keine eigene Sammlung gibt. Der klassische Status eines Museums ist, dass es wirklich etwas sammelt. In unserem Fall, als es um die Funde von Lauchheim als Grundstock ging, da war klar, dass diese dem Land gehören. Das ist seit 1972 im baden-württembergischen Denkmalschutzgesetz geregelt. Alles Wertvolle geht automatisch in Landeshand über und wir haben die Originale wiederum vom Land ausgeliehen.

 

Wie kamen Sie eigentlich nach Ellwangen?

 

Es war am Anfang gar nicht klar, dass das Museum in Ellwangen sein sollte. Erst war die Kapfenburg bei Lauchheim im Gespräch, aber dort wurde die Musikschulakademie des Landes eingerichtet. Die Stadt Ellwangen wollte ein zweites Museum neben dem Schlossmuseum, am liebsten als Zweigmuseum eines der Landesmuseen in Stuttgart oder Konstanz. Letztendlich wurden die Funde gestellt, aber die Stadt sollte das Museum in eigener Trägerschaft gründen. Und dazu brauchte man Personal. Unter anderem einen Archäologen als Museumsleitung. Ich kann mich noch erinnern, wie begehrt diese Stelle war, weil Archäologenstellen ziemlich rar sind. Wir waren jedenfalls 73 Bewerber und mit viel, viel Glück standen wir nur noch zu zweit in der Stichwahl. Am Ende habe ich die Stelle bekommen.

 

Und dann haben Sie ja das Museum und die Ausstellung konzipiert.

 

Als ich eingestellt war, ging es wirklich sehr schnell. Ich hatte keine zwei Jahre Vorlauf, im Endeffekt anderthalb: Ich kam im Mai 1999, im September 2001 haben wir eröffnet. Aber schon ein halbes Jahr vor mir waren zwei Architekten und eine Grafikerin beauftragt worden. Und die hatten sich auch schon das Gebäude quasi untereinander aufgeteilt. Da hatte ich dann alle Mühe, noch hinterher zu kommen.

 

Ein schönes Beispiel ist unsere Webhütte im Erdgeschoss. Ich wollte unbedingt eine. Mit einer Grube im Boden, denn es handelt sich um ein Grubenhaus. Da haben sie erst einmal lange Gesichter gemacht, weil sie das nicht geplant hatten. Und am Anfang mussten wir überhaupt noch einmal von Ellwangen aus die Leihgaben anfragen, Stück für Stück, mit vielen Besprechungen und einer Wunschliste, die immer wieder zusammengestrichen wurde und wir mussten uns da einiges erkämpfen.

 

Dann gab es prompt schon Gerüchte und Leserbriefe, dass im Alamannenmuseum nur Kopien ausgestellt würden. Ich habe also gleich die Instruktion bekommen, zu zeigen, dass es fast nur Originale sind. Und so blieb es auch. Bei der Eröffnung haben wir wirklich so grob geschätzt 5.000 Ausstellungsobjekte beieinandergehabt. Und vielleicht an vier, fünf Stellen steht Kopie.

 

Vorher hatten Sie sich mit den Römern befasst. Und dann den Sprung zu den Alamannen. Oder war es gar kein Sprung?

 

Das ist zwar eine ganz andere Welt bei den Germanen. Und bis Ellwangen war ich nie so stark auf eine Epoche spezialisiert. Aber die Alamannen hängen nahtlos an den Römern dran. Da kann ich am einfachsten mit den Schulen argumentieren. Zu meiner Anfangszeit war in den Lehrplänen wenigstens noch das Stichwort Alamannen oder besser Alemannen – wie die Historiker sagen – drin. Das taucht aber seit 2004 so gar nicht mehr im Lehrplan auf. Es gab zuletzt eine große Einheit Römer mit der winzig kleinen Einheit „Landnahme der Alemannen“. Und von früher in der Forschung besteht noch das Bild, die Germanen hätten die Römer ja vertrieben, also auch mit früheren Schulwandbildern, wo die Germanen die Römerkastelle erobern und solche Dinge. Heute hat man ein ganz anderes Bild. Und das war auch meine Aufgabe, das im Museum klar zu machen. Viele der Germanen waren dann als Soldaten im römischen Heer und waren Söldner. Es hat sich also eher vermischt.

 

Ist Geschichte für Sie denn immer noch spannend?

 

Im Grunde ja. Tatsächlich ändert sich auch alle ein, zwei Jahre wieder etwas in der Forschung. Heute wird Völkerwanderung zum Beispiel ganz anders gesehen, dass die Völker eben nicht wie im Wilden Westen als Siedler mit Sack und Pack und Familien ankamen und die Römer quasi „rausgeschmissen“ haben, sondern dass sie sich so Schritt für Schritt assimiliert haben und dass das wenige, was wir über diese frühe Zeit wissen, nämlich gefiltert über die römischen Schriftquellen, eigentlich nur Kriegsberichte sind. Und dann waren das nur die Söldnertruppen als Speerspitze der germanischen Bevölkerung.

 

Und das hat Auswirkungen bis zur Archäologie. Ich habe da zwar vom Ende des Limes um 260, das ist so der Beginn unserer Darstellung im Alamannenmuseum, bis zur Gründung Ellwangens als Kloster zu Beginn der Karolingerzeit volle 500 Jahre. Aber die Funde setzen zum Großteil erst ab 500 ein, erst dann gibt es als wichtige Quelle die Ortsgräberfelder. So wie Lauchheim mit 1.300 Gräbern. Vorher gab es, was die Gräber betrifft, die Sitte der Brandbestattung, wo der Archäologe normalerweise gar nichts oder nur noch wenig findet.

 

Es ist so zufällig, dass etwas gefunden wird, auch in Lauchheim. Dort hatte man ja schon drei, vier Jahre im Friedhof gegraben, bevor es sich ergab, dass sich in der Nachbarschaft Reste einer Siedlung befinden.

 

Normalerweise tauchen solche Funde bei uns meistens während eines Bauvorhabens auf.

 

In Lauchheim gibt es ein großes Industriegebiet und da liegt der Friedhof. Die ersten Grabfunde kamen da beim Ausbaggern von Kanalgräben zu Tage. Ein Glück für die Archäologen war die Umgehungsstraße und der Beginn, als die Trasse freigeschoben wurde und als erstes unten in der Niederung die Brücke über die Jagst gebaut wurde. Da kamen dann auch Spuren von Häusern zum Vorschein. Archäologen hängen eng an den Baustellen, in der Tat.

 

Warum sind Sie nicht bei den Ausgrabungen geblieben?

 

Dass wie in Lauchheim 20 Jahre lang am Stück ausgegraben wird, ist eine große Ausnahme. Wenn man, anders, als bei den üblichen „Rettungsgrabungen“, einen solchen Fundort bis zu Ende ausgräbt, ist das von der Definition her eine Forschungsgrabung, die man wirklich aus Forschungsinteresse macht. Das können sich normalerweise nur die Unis leisten. So hatte ich auch als Student meine umfassendsten und längsten Erfahrungen in Troia, wo von Tübingen aus Jahr für Jahr große internationale Ausgrabungen durchgeführt wurden und wo ich einen ganzen Sommer mit dabei war. Sechs Wochen war ich für ein kleines Stück Friedhof aus der Zeit der mykenischen Kultur zuständig, um da Grab für Grab auszugraben. Ich kam also aus dem Studium, wollte mich ganz selbstverständlich, wie es auch alle Mitstudenten in Tübingen machten, beim Landesdenkmalamt in Stuttgart um eine Anstellung bewerben.

 

Und dann das: Im Jahr 1990 gab es einen Einstellungsstopp und im nächsten Jahr wieder. Ich habe schon fast Abschied genommen von der Archäologie. Ich hatte eine Familie mit drei Kindern und ich hätte ja noch promovieren können. Aber ich musste Geld verdienen, dann habe ich eben eineinhalb Jahre als Bäckereifahrer gearbeitet.

 

Wie gelang Ihnen der Wiedereinstieg?

 

Eines Tages hat mir einer meiner ehemaligen Kommilitonen gesagt, in Stuttgart suche man dringend einen Studenten für eine Hiwi-Stelle im Württembergischen Landesmuseum, die zum Jahresende auslaufen würde. Die wissenschaftliche Hilfskraft war dann ich, der fertig studierte Archäologe. Das war wirklich eine nette Kombination. Beim Bäcker ging es morgens um halb sechs los, ich kam um halb zwei schon wieder nach Hause und anschließend bin ich dann von Tübingen aus nach Stuttgart gefahren und hatte von vier bis acht Uhr am Nachmittag meinen Job dort.

 

Und hätte ich mich da nicht bereit­erklärt und so begonnen, so ein zufälliger Anfang, wäre ich heute wohl nicht im Museum. Daraus hat sich Schritt für Schritt alles Weitere entwickelt, immer nur mit ganz kurzen Verträgen, das höchste der Gefühle waren einmal anderthalb oder zwei Jahre. So kam ich auch nach Biberach, war da am Ende doch acht Jahre als Archäologe am Braith-Mali-Museum, aber recht kompliziert mit drei Arbeitgebern in vier Verträgen. Von dort aus habe ich mich für das Alamannen­museum beworben.

 

Haben Sie den Wechsel nach Ellwangen bereut?

 

Die Tätigkeit in Ellwangen erfüllt mich voll und ganz, auch wenn es etwas anderes als eine Ausgrabung ist, wofür ich im Studium fit gemacht wurde. Aber da hat sich technisch alles weiterentwickelt. Wir haben da noch recht viel händisch gemacht, heute arbeitet man vielfach mit elektronischer Unterstützung wie dem Laserscanner, Übersichtsfotos entstehen längst mit Drohnen statt wie früher mit der Fotoleiter. Wenn ich heute einmal ins kalte Wasser gestoßen würde, würde ich mich sicherlich schwertun.

 

Sie machen auch Aktionen für Schüler im Museum.

 

Ich nenne einmal die Lesenacht im November als größte Aktion, wo bis zu 24 Schulklassen an sechs Abenden innerhalb von zwei Wochen durchs Museum „geschleust“ werden. Auf die bin ich sehr stolz, weil sie schon seit 2004 stattfindet. Aber 2004 ist jetzt auch kein Zufall, sondern genau in der Zeit, als die Alamannen so langsam aus den Lehrplänen verschwunden sind, haben wir uns überlegt, dass man mit Leseförderung und dem simplen Prinzip „Unsere Museumspädagogen lesen aus Jugendbüch­ern“, mitten zwischen den Goldfunden, zwischen den Vitrinen, Erfolg haben kann.

 

Eigentlich sind Sie ja nur in Teilzeit tätig…

 

Ja, ich habe eine 50-Prozent-Stelle, aber ich gebe schon 100 Prozent. Das ist sozusagen meinem Herzblut geschuldet, weil ich tatsächlich Spaß an der Sache habe. Alle weiteren Mitarbeiter bis auf zwei Kassenkräfte mit zusammen 17 Wochenstunden, dem Rathaus-Hausmeister mit einem kleinen Anteil und einer Teilzeit-Reinigungskraft sind bei uns ehrenamtlich tätig. Im Zuge der Finanzkrise von 2008, ausgelöst durch die Pleite der New Yorker Lehman-Bank, als im städtischen Haushalt auf einmal 14 Millionen Euro fehlten, sollte das Alamannenmuseum ganz geschlossen werden. Glücklicherweise konnte dies abgewendet werden und stattdessen arbeitet das Museum seit 2012 mit einem von 170.000 auf 85.000 Euro halbierten Etat. Somit griffen drastische Maßnahmen zum Kostensenken, die ersten viereinhalb Jahre saß ich etwa zu 70 Prozent ohne Arbeitsvertrag zuhause. Heute sieht das Modell so aus: Ich selbst bin zusammen mit den zwei erwähnten Kassenkräften angestellt und die vierzehn Ehrenamtlichen im Kassen- und Thekendienst arbeiten einmal im Monat an einem bestimmten Wochentag, nämlich dienstags, donnerstags oder freitags. Hinzu kommen die etwa 12 – 15 Museumspädagogen auf Honorarbasis. Alle sehe ich als mein Team, denn es gibt immer etwas zu planen und zu besprechen und da beteilige ich gerne möglichst viele.

 

Sie kennen Ihre Exponate wahrscheinlich in- und auswendig. Haben Sie ein Lieblingsstück?

 

Ich schaue vieles gerne an, ich weiß ja, vieles ist wirklich selten, die Goldblattkreuze etwa gibt es nur bei den Alamannen, den Baiuwaren in Bayern und den Langobarden in Italien. Aber das frühalamannische Bernsteincollier aus Trochtelfingen bei Bopfingen, das ist so mein heimlicher Liebling. Einmal, weil es super hübsch daherkommt, zum anderen vom Fachlichen her, weil es tatsächlich in der Völkerwanderungszeit entstand, um 350, etwa 100 Jahre nach dem Ende des Limes. Es stecken da nämlich Perlen aus römischen Werkstätten, kombiniert mit solchen aus germanischen Werkstätten in einer Kette. Da sieht man schon, dass Römer und Germanen 100 Jahre nach der Aufgabe des Limes immer noch rege Handelsbeziehungen hatten und sich hin und her ausgetauscht haben. Was mir da auch einfällt, ist der lange Kampf, bis das Stück endlich nach Ellwangen kommen konnte. Fünf Jahre haben wir daran gearbeitet. Wir machten zur Begrüßung des neuen Stücks 2015 eine eigene große Sonderausstellung: „Bernstein – Gold der Germanen: Das Collier von Trochtelfingen“.

 

Eigentlich könnten Sie auch ein Lokal eröffnen, oder?

 

Oh ja, am Ende bin ich sogar noch Gastronom geworden in Ellwangen. Wir wollten das Museum eröffnen. Unser Architekt hat uns unsere Küche ganz in Richtung Museumscafé gebaut, die Spülmaschine, den Kühlschrank, alles war da. Aber man darf Gastronomie nur betreiben mit einer Gaststättenkonzession. Die bekommt man nur als Gastronom, wenn man sich zwei Tage lang bei der IHK dafür hat zertifizieren lassen. Es war bestimmt so zwei, drei Wochen vor Eröffnung. Keine Zeit für nichts. Kaum zu glauben, aber ich wurde Gastronom!

 

Wie empfinden Sie die Entwicklung des Museums bis heute?

 

Mein großes Ziel war und ist, am Beispiel der Alamannen zu zeigen, wie weit entwickelt, wie kultiviert die Menschen damals waren. Gerade wenn man an so Dinge wie das Goldschmiedehandwerk denkt, waren sie alles andere als primitiv. Das ist ein sehr simpler Ansatz, aber es ist natürlich so, dass wir uns dessen bewusst sein sollten, was bei uns hier in der Region schon vor 1.300 – 1.800 Jahren möglich war. Und das ist auch etwas, was ich im Museum oft erlebe: Dass die Leute dann hinterher und beim Rausgehen sagen, damit hätten wir nie gerechnet, was wir hier alles sehen. Was damals schon möglich war.

 

Das Museum ist nicht einfach von selbst entstanden, sondern aus dem Glücksfall des Fundes in Lauchheim. Denn die Ausgrabungen liefen ja von 1986 bis 2005. Das Museum wurde 2001 eröffnet. 1997 gab es in Stuttgart die große Landesausstellung zum Thema Alamannen, und das war der Durchbruch für die Lauchheimer Funde. Dort haben sie eine eigene Abteilung bekommen, zum ersten Mal wurden die Funde außerhalb der Region gezeigt. Ein dicker, reich bebilderter Ausstellungskatalog wurde auch produziert, wir nennen ihn gerne die „Alamannenbibel“. Lauchheim hat eine solche Bedeutung für die Frühmittelalterforschung, dass mittlerweile zudem fünf Bände mit aktuellen Erkenntnissen der Auswertungen veröffentlicht wurden, weitere werden noch folgen.

 

Und so haben unsere Exponate, hat der Fund von Lauchheim, einfach über all die Jahre hinweg bis heute eine solche Strahlkraft, dass man auch nach über 30 Jahren immer noch von Neuem berichten kann.

 

Interview: Anja Deininger
Fotos: Andreas Wegelin

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