Tischgespräch

Angetreten, um Ellwangen nachhaltig zu verändern

24.11.2019 | 08:52

Michael Dambacher
ist Vertreter des Gemeindetags Baden-Württemberg und des Landesfischereibeirats.

Michael Dambacher ist selbst mit dem Auto von seinem Amtssitz nach Schwäbisch Gmünd gefahren. So oft es geht, verzichtet er auf die Dienste eines Fahrers. „Das hat für mich etwas Meditatives“, sagt der Oberbürgermeister der Stadt Ellwangen, der seit 19. Juli 2019 im Amt ist. Dem Angebot, die Fragen während des Tischgesprächs angesichts der noch kurzen Amtszeit mit Nachsicht zu stellen, entgegnet er: „Nein, machen Sie ruhig.“ Es wurde eine Mischung aus politisch inhaltlichen, organisatorischen und privaten Themen in lockerer Gesprächsatmosphäre. Mit klaren Aussagen.

Ein Oberbürgermeister hat extrem viele Themengebiete und soll am besten gleich handlungsfähig sein. Wie verschaffen Sie sich den Überblick?

Michael Dambacher: Zum einen in den regelmäßigen Amtsleiterrunden. Da kommt man relativ schnell ins Tagesgeschäft rein. Außerdem über Aktenstudium. Viele Themen ergeben sich aus dem Haushaltsplan und dem mittelfristigen Finanzplan. Von meinen Mitarbeitern habe ich ebenfalls viel zu lesen bekommen, was ich mir meist als Abendlektüre zu Gemüte geführt habe. Die neun Jahre zuvor als Bürgermeister von Bühlertann haben mir den Einstieg aber doch relativ leicht gemacht. Da sich viele Angelegenheiten inhaltlich gleichen. Ein großes Plus war auch die sitzungsfreie Zeit im Sommer gleich zu Beginn meines Amtsantritts. So konnte ich bald in weitere Themen einsteigen.

Welche Themen liegen am dringlichsten an?

Wir sind dabei, die Landesgartenschau 2026 in Ellwangen voranzutreiben, haben bereits Eilentscheidungen getroffen, die wichtig für den Realisierungswettbewerb sind, der zwischen März und Juni 2020 ausgeschrieben wird. Die Vorbereitung darauf ist momentan die Hauptaufgabe. Wir haben ein tolles Team zusammen, es kommen viele gute Vorschläge. Aber es kommen natürlich viele weitere Themen hinzu.

Was denken Sie, bis wann Sie komplett eingearbeitet sind?

Etwa nach einem Jahr. Zu Beginn habe ich eine Schnellbleiche für die wichtigsten Themen bekommen. Aber eines kann ich schon sagen: Das Ankommen ist erfolgt. Das heißt, ich bin nicht mehr Getriebener, sondern Antreiber.

Neben den gesetzten Themen wie LEA, Konversion der Kaserne und Landesgartenschau, auf die wir später noch kommen werden – was liegt Ihnen besonders am Herzen?

Ellwangen nach außen besser zu verkaufen. Wir haben eine tolle Innenstadt, es gibt einiges zu erleben. Aber: Viele nehmen uns nicht so wahr. Ellwangen galt immer als verschlafene Beamtenstadt. Das war es auch. Aber mittlerweile sind wir meilenweit davon weg. Wir haben mehr als 200 Hektar Gewerbegebiet mit Impulsgebern wie Varta, Stengel, EnBW ODR, Kicherer oder NetCom. Darin liegen unglaubliche Potenziale. Das ist alles in Ellwangen! Weiteres Potenzial hat Ellwangen in Sachen lebenswertes Wohnen. Wir haben viele Seen, tolle Landschaft und trotzdem städtische Strukturen. Mit viel ehrenamtlichem Engagement in den Vereinen. Diese Mischung kommt in der Außenwahrnehmung nicht so an. Von außen wird Ellwangen oft reduziert auf den Schönenberg, das Schloss vielleicht noch und die LEA. Aber das macht nur einen Bruchteil von Ellwangen aus.

Wie groß ist die Umstellung von der 3100-Seelen-Gemeinde Bühlertann, wo Sie neun Jahre lang Bürgermeister waren, auf Ellwangen?

Ich muss nun viel mehr delegieren, im Grunde fällt die Sachbearbeitung fast völlig weg. Dazu kommen viele repräsentative Aufgaben. Ich betreibe viel mehr Kommunalpolitik und Dialog mit den Gemeinderäten. Aber: Im Prinzip ist auch das nichts Neues für mich. Durch meine sieben Jahre in der Stuttgarter Stadtverwaltung bin ich die Abläufe durchaus gewohnt. Damals als Zuarbeiter. Das hilft mir heute, loszulassen. Das ist vielleicht die größte Umstellung: nicht alles selbst in Angriff zu nehmen. Wenn man in dieser Position nicht loslassen kann, geht man unter. Man muss seinem Team etwas zutrauen. Das funktioniert hier wunderbar.

Bemerken Sie die Fußstapfen, die Ihr Vorgänger Karl Hilsenbek von 2003 bis 2019 hinterlassen hat?

Die Fußstapfen sind da, ich trete aber nicht hinein, sondern mache auf meine eigene Art weiter, gemeinsam mit dem Gemeinderat. Ich habe größten Respekt vor den Leistungen, weil ich auch weiß, wie viel Arbeit drin steckt. Gerade die Landesgartenschau 2026 ist für Ellwangen eine Jahrhundertchance, städtebaulich und touristisch draufzusatteln. Damit hat Karl Hilsenbek eine große Sache auf den Weg gebracht. Ich bin aber auch gleichzeitig demütig hinsichtlich 2026. Wir kriegen jetzt keinen Überflug. Man wird ja auch immer verglichen mit voran gegangenen Ausführungen. Und da war die Landesgartenschau 2014 in Schwäbisch Gmünd schon das Maß der Dinge bisher.

Haben Sie bereits einen Fokus im Hinblick auf die Landesgartenschau 2026 in Ellwangen?

Großes Thema wird die Innenstadt. Die Aufgabe wird sein, einige öffentliche Gebäude zu sanieren und leerstehende Gebäude zu füllen. Ellwangen ist von der Größenordnung her ein bisschen schwierig, um das Innenstadtleben aufrecht zu halten. Im Hinblick auf die Landesgartenschau wollen wir gute Antworten finden. Spannend wird auch der Übergang Schießwasen – Innenstadt. Es gibt zwei trennende Elemente: die Bahn und die Jagst. Die Fragen sind: Wie können wir unseren Fluss erlebbar machen? Und: Wie schaffen wir die Verbindung – mit Unter- oder Überführung in Form einer Brücke? Das wird eine richtig tolle Geschichte. Aber auch für die Ortsteile wollen wir die Fördertöpfe voll ausschöpfen. Auch dort ist vieles möglich.

Können Sie sich eine ähnlich lange Ära wie jene unter Ihrem Vorgänger vorstellen?

Zwei Amtszeiten, also 16 Jahre, auf jeden Fall. Man muss sehen: 2026 ist die Landesgartenschau, und 2027 ist schon wieder OB- Wahl. Ich will auch in der Zeit nach der Landesgartenschau Ellwangen städtebaulich weiterentwickeln. Und es gibt eine Fülle weiterer Themen. Ich bin angetreten, um Ellwangen darüber hinaus zu führen. Ob das die Bürgerschaft dann auch so sieht, wird man natürlich abwarten müssen. Vieles wird davon abhängen, wie erfolgreich wir das Thema Landesgartenschau umsetzen. Daran werde ich mich messen lassen.

Ist der OB-Job eine 24/7-Aufgabe?

Zwangsläufig. Wenn man so ein Amt antritt, muss man sich bewusst sein, dass man nie raus ist. Wenn ich tagsüber nicht alles abgearbeitet habe, lese ich das in Ruhe am Abend nach. Mir geht aber auch sonst noch vieles durch den Kopf, wenn ich bereits zu Hause bin. Ich empfinde das aber nicht als stressig.

Muss man dafür geboren sein?

Vielleicht. Es ist eine Frage, wie man es empfindet, Entscheidungen zu treffen. Für die einen ist es stressig, für die anderen eine reizvolle Aufgabe. Führungskräfte in sämtlichen Bereichen müssen einfach bereit sein, eigene Dinge hinten anzustellen. Wenn die Rahmenbedingungen passen, fällt es einem natürlich leichter.

Stichwort Familie. Wie wichtig ist deren Unterstützung?

Sehr wichtig. Die Unterstützung hat schon Monate vor der Wahl angefangen. Auch die Entscheidung anzutreten, habe ich gemeinsam mit meiner Frau getroffen, weil sie ja auch dahinter stehen muss. Dass ich nicht viel daheim bin, darüber hat sich meine fünfjährige Tochter schon beklagt. Aber: Das ist auch dem Anfang geschuldet. Das wird auch wieder anders werden. Wenn auch nicht mehr so wie in den neun Jahren zuvor in Bühlertann.

Bei solch einer Taktung – wie schalten Sie persönlich ab?

Wenn mir was durch den Kopf schießt, schreibe ich es auf. Dann ist es draußen. Eine halbe Stunde zu Hause reicht mir schon zum Runterkommen. Ich schlafe jeden Tag gut ein. Ich habe Gott sei Dank seit jeher die Gabe, dass ich jeden Tag zur Ruhe komme.

Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

Auf jeden Fall mit meiner Familie. Wenn es klappt, versuche ich meiner Tochter sonntags das Schwimmen beizubringen. Das sind schöne Momente, wenn ein junger Mensch neue Fertigkeiten lernt und sie umsetzt. Das ist mitunter die Aufgabe der Eltern: Anreize zu setzen. Gerne machen wir auch mal Kurzurlaub im Allgäu oder Richtung Bodensee. Wir gehen wandern, im Winter auch gerne Skifahren. Mein Ziel ist es, mein Segelhobby endlich mal wieder auszuüben. Ich habe den Sportküstenschifferschein vor sieben Jahren gemacht. Beim Segeln ist es toll und faszinierend, dass man sich auf alle Rahmenbedingungen einstellen muss und versucht, das Optimum herauszuholen. Erholter als nach unserem zweiwöchigen Segelurlaub rund um Mallorca war ich wohl noch nie. So erholt, dass ich danach nicht mal mehr mein PC-Passwort wusste (lacht). Zuletzt waren wir in einer Selbstversorgerhütte, fließend Wasser kam nur frisch aus einer Quelle. Das gefällt uns, und für unsere Tochter ist das sehr spannend.

Stichwort Spannung: Wie geht es mit der Landes-Erstaufnahme-Einrichtung (LEA) in Ellwangen weiter? Der Vertrag läuft aktuell bis 2022 …

Unter meiner Führung und mit dem zur Hälfte neu konstituierten Gemeinderat müssen wir die Grundsatzfrage klären: Wie geht es nach 2022 weiter? Die Entscheidung werden wir spätestens im Frühjahr 2020 getroffen haben. Denn wenn wir nicht verlängern, braucht das Land zwei Jahre Vorlaufzeit. Für uns bedeutet die LEA einen unglaublich solidarischen Einsatz. Für Ellwangen, aber auch für umliegende Kommunen und den Landkreis. Die Flüchtlingsarbeit wurde in Ellwangen sehr gut umgesetzt. Den Quid-pro-quo-Gedanken, also den der angemessenen Gegenleistung, sehe ich dagegen nicht in dem Maße erfüllt. Auch wenn jetzt lediglich noch 360 Flüchtlinge im Schnitt in der LEA untergebracht sind – in der Hochphase, mit fast 5000 Flüchtlingen, hat sie die Stadt fast zum Kollaps gebracht. Leerstände in der City sind zum Teil auch der LEA geschuldet. Bürger, und man kann es ihnen nicht übel nehmen, wurden zeitweise abgeschreckt, zum Beispiel von großen Ansammlungen an WLAN-Hotspots. Die haben sie dann gemieden. Obwohl das heute kein Thema mehr ist, hängt die LEA auf diese Art, mit einem Negativ-Image, noch in den Köpfen. Es ist eine spannende Frage, wie man damit umgeht. Diese gehe ich zusammen mit dem Gemeinderat an.

Was wird aus dem 46 Hektar großen Gebiet der Reinhardt-Kaserne?

Fünf Hektar nimmt das Bundessprachenamt ein. Aber darüber hinaus wird hier gerade ein einzigartiges Leuchtturm-Projekt der Region umgesetzt. In der Europäischen Ausbildungs- und Transferakademie (EATA) wird versucht, Jugendliche aus europäischen Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, aber auch Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive ausbildungsfähig zu machen. Wir haben ein Strukturproblem, uns fehlen die Fachkräfte. Wir haben doppelt so viele Azubi-Plätze wie Azubis. Absolventen der Akademie in Ellwangen sind potenzielle Fachkräfte für die Ausbildungsbetriebe. Das 15-Millionen-Euro-Projekt wird mit 9 Millionen Euro von der EU gefördert. Den Rest trägt die Stadt Ellwangen, die gemeinsam mit dem Landkreis und dem Kolping-Bildungswerk auch die Betriebsführung macht. Die Akademie ist bereits angelaufen mit aktuell rund 40 Jugendlichen. Den Z-Bau der Kaserne bauen wir momentan um. Hinein kommen Hörsäle und Wohnungen, mit dem Ziel, bis zu 250 Menschen auszubilden. Auf der EATA aufbauend, ist es mein Wunsch, das Thema Campus weiter voranzutreiben.

Was soll der Ellwanger Campus beinhalten?

Langfristiges Ziel ist es, eine Außenstelle einer Hochschule zu etablieren. Wenn es uns gelingt, dass Leute auch hier studieren können, wäre das ein absoluter Zugewinn – auch für die Region. Wenn es Richtung duale Ausbildung ginge, wäre es ideal.

Was können Ihre Bürger in den kommenden acht Jahren von Ihnen erwarten?

Sie können meinen vollen Einsatz erwarten, meinen ganzen Ideenreichtum, mein ganzes Engagement. Es gibt wichtige Themen, die Ellwangen nachhaltig verändern werden. Deswegen bin ich angetreten. Ich hoffe auch auf Ideenvielfalt und ehrenamtliches Engagement der Bürgerschaft.

Wie wollen Sie die Bürger mit einbinden?

Mit den Ende des Jahres 2019 im Gemeinderat bestimmten Eckpunkten zur Landesgartenschau gehen wir Anfang 2020 in die Bürgerschaft. Wir wollen Ideen in die Ausschreibung des Realisierungswettbewerbs aufnehmen. Wir werden immer wieder Bürgerveranstaltungen machen, um diejenigen, die es interessiert, mitzunehmen. Mit den Menschen in Dialog zu gehen, ist immer die beste Weise. Das können die Bürger auch einfordern. Ich werde jeden Monat in einem unserer Teilorte sein. Denn das Problem ist oft: Politiker sind gedanklich schon einen oder mehrere Schritte weiter, obwohl sie die Leute noch gar nicht abgeholt haben

"SPÄTESTENS IM FRÜHJAHR 2020 ENTSCHEIDEN WIR, WIE ES MIT DER LEA WEITERGEHT."
ZUR PERSON

Michael Dambacher (CDU),
1979 geboren in Ellwangen, ist seit 19. Juli 2019 Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Ellwangen. Zuvor war er von 2010 bis 2019 Bürgermeister der Gemeinde Bühlertann.

Von 1999 bis 2004 absolvierte er ein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg.

Von 2004 bis 2010 war er Mitarbeiter der Landeshauptstadt Stuttgart, zunächst in der Stadtkämmerei, dann Projektleiter und Berater im Bereich Organisation und Personalentwicklung.

Von 2005 bis 2007 absolvierte er an der Steinbeis-Hochschule Berlin ein berufsbegleitendes Studium
mit Abschluss Master of Business Administration (MBA).

Michael Dambacher ist Vertreter des Gemeindetags Baden-Württemberg und des Landesfischereibeirats.

Interview: Anja Deininger
Fotos: Andreas Wegelin

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