Tischgespräch

"Fragilität, Transparenz, Schwerelosigkeit faszinieren mich."

24.11.2021 | 08:52

Infos zur Künstelrin und Ihren Werken:

Alkie Osterland
www.alkie-osterland.de

Die gebürtige Heidelbergerin und Künstlerin Alkie Osterland betreibt seit 1991 ihre Glas­werkstatt in Schwäbisch Gmünd. Neben großen Skulpturen, Installationen und Flachreliefs aus Glas fertigt sie auch Schmuckstücke an. All ihre Werke sind mit einem Thema, einem Narrativum verbunden. Im Tischgespräch erläutert sie, wie sie ihr Material gefunden hat und was ihre Ar­beit ausmacht.

Frau Osterland, wann haben Sie beschlossen, Künstlerin zu wer­ den?

Ich wollte schon immer Künstlerin werden, schon zu Kindergartenzeiten, als ich darum kämpfen musste, mehr als zwei Bilder am Tag malen zu dürfen.

Und jetzt Glas. Ein sehr spezieller Werkstoff. Wie kamen Sie zu die­sem Material?

Das Material für mich zu finden war gar nicht einfach. Eigentlich habe ich gesucht und gesucht, und tatsächlich schlug mir eine Freundin Glas vor. Ich hatte auch Überlegungen in Richtung Keramik, Druck, Papier, Holz. Aber das war mir irgendwie alles zu schwer, zu erdig. Glas hat für mich eine Leichtigkeit. Und die Transparenz! Ich kann stundenlang über Glas reden. Ich finde faszinierend, dass Glas aus Sand besteht, also aus Dreck (lacht), und dass daraus ein transparentes, leuchtendes Material wird – farbiges Licht. Mich fasziniert, dass Glas so zerbrechlich ist. Ich möchte gern, dass in all meinen Arbeiten diese Eigenschaften des Materials wichtig sind. Was zwischen den Zeilen mitlesbar ist, ist diese Fragilität, etwas Sprödes und diese Transparenz, Materielosigkeit fast schon, wenn ich ohne Farbe arbeite. Hier habe ich auch eine ganze Reihe gemacht, und durch die Farblosigkeit ist das Glas fast nicht da. Glas ist einfach ein tolles Material, so vielfältig.

Haben Sie für die Arbeit mit Glas eine Ausbildung gemacht, zum Glasmacher?

Ich wollte erst Kunst studieren und habe mir die Glasklassen angeschaut. Das war mir irgendwie zu wenig, und deshalb habe ich mir meine Ausbildung selbst zusammengestellt. Ich habe mir überlegt, welche Werkstätten oder KünstlerInnen mich interessieren, und das war so wie das „Auf die Walz gehen“. Ich habe mich in den Werkstätten beworben, unter anderem in Schwäbisch Gmünd habe ich bei Magdalena Maihöfer gelernt, war auch in Frankreich. Ich habe also verschiedene Techniken gelernt. Ich habe am Ofen geblasen, Glasguss gelernt für die massiven Stücke, die auch im öffentlichen Raum gezeigt werden, Das Flachglasschmelzen natürlich, und dann in Gmünd noch das Schmuckmachen.

Wo kommen denn Ihre Themen her? Woher nehmen Sie die Inspi­ration?

Ganz unterschiedlich. Das ist die Frage, wie man in kreativen Prozessen arbeitet. Ich selbst habe ganz viele Themen und Ideen im Hinterkopf, und das läuft immer mit. Ich schöpfe natürlich aus meinen Erlebnissen, Begegnungen und den aktuellen Verwerfungen. Irgendwann ist ein Thema dauerhaft präsent und wichtig, dass ich es umsetze. Das Ergebnis ist dann von dem Persönlichen geklärt und im besten Fall damit allgemeingültig und verständlich für den Betrachter.

Wahrscheinlich geht es gar nicht ohne einen Bezug zum Thema, ohne Emotionen.

 

Nein, manchmal merke ich beim Schaffen die Emotionen gar nicht, sondern erst hinterher. Aber das Thema muss mich einfach interessieren, denn meine Arbeit ist eine harte. Glas ist einfach schwere Arbeit. Es gibt Skulpturen, da habe ich die Form nicht einmal allein in den Ofen bekommen. Die Arbeit ist schwer, heiß, dreckig, und obendrein weiß man ja nicht, ob man das Stück verkauft. Deshalb muss die Motivation ein tiefes Interesse und ein Wissensdurst sein – es ist die Suche nach der richtigen Form und dem adäquaten Ausdruck. Es geht ja auch immer was schief zu Beginn, wie zum Beispiel bei meinem Betonschmuck, das ist alles noch nicht so, wie ich mir das vorstelle.

Da kann man wahrscheinlich auch nur schwer abschätzen, wie vie­le Versuche nötig sind, bis etwas funktioniert, oder? Sodass das Ergebnis Ihren Vorstellungen ent­spricht.

Ich dachte anfangs, genau der Betonschmuck sei ganz einfach, das geht ganz schnell. Aber so leicht ist es nicht, denn so wie ich mir das Schmuckstück vorstelle, ist es noch nicht. Man muss da wirklich ausprobieren, oft ist etwas zu groß, zu klein. Es gibt oft viele Versuche, und manche Projekte werden auch nichts, da muss ich mich dann auch verabschieden. Manches gelingt aber auch leicht.
 

Was ist Ihr aktuelles Projekt? Woran arbeiten Sie gerade?

Im Moment arbeite ich an einem Projekt „Es wird alles wieder gut“. Ich hatte mich mit der Frage beschäftigt: „Was ist unter der Oberfläche“. Darf man denn zum Beispiel einen besonders orangen Sonnenuntergang als schön bezeichnen, obwohl man weiß, dass die intensive Farbe von der Verschmutzung der Luft kommt? Oder darf man eine Landschaft als idyllisch bezeichnen, obwohl sie ein Schlachtfeld war? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich gerade und habe meine Idee weiterentwickelt. Ich führe gerade Interviews mit verschiedenen Menschen durch, im Hinblick auf die Verheerungen durch Corona. Was bleibt? Ein Blick auf das Jetzt aus der Zukunft. Es geht um die Sichtbarmachung der Erschütterungen, die bleiben. Bei den Interviews, beim Zuhören entstehen in meinem Kopf schon Bilder von Landschaften, ich erfasse eine Essenz und rufe die inneren Bilder später wieder ab. Und diese versuche ich in Glas umzusetzen. Bei den Flachreliefs kann ich vor dem Schmelzen die Schichten legen und nochmals verändern, bis es meiner Vorstellung entspricht. Daraus entsteht eine Serie, und die ersten fünf Werke der Serie sollen im Laufe des November fertiggestellt sein.

»AUCH BEIM SCHMUCK MÖCHTE ICH ETWAS NARRATIVES EINFLIESSEN LASSEN…«
 

Sie hatten ja auch schon Lampen gefertigt, also richtig angewandte Kunst…

Ja, Lampenschirme, das liegt bei Glas ja nahe. Aber von funktionalen Dingen komme ich immer weiter weg. Auch beim Schmuck möchte ich etwas Narratives einfließen lassen, nicht nur Schmuck machen, der einfach hübsch aussieht.

Da bewegen Sie weit weg vom Mainstream.

 

Ich mache meinen Schmuck natürlich nicht, weil ich denke, das wird der Verkaufsschlager. So wie der Betonschmuck, ich wollte hier Last machen, also dass man eine Last trägt beziehungsweise die Kette wie Last aussieht, denn eigentlich sind die Anhänger ja leicht. Und von der Last kam ich auf das Material Beton, das schwer wirkt. Die Brosche, die ich trage, ist mit dem Gedanken entstanden, etwas Neues aus Altem zu machen mit einem damit verbundene Zerstörungsmoment. Also kein Recycling oder Upcycling, sondern das Alte im Neuen sichtbar zu halten. Die Broschen entstanden aus alten Fassungen, die keiner mehr gebrauchen konnte. Und die habe ich erst einmal zerstört und plattgemacht, und dann eine neue Form aus mehreren Teilen zusammengestellt. Wer genau hinsieht, kann erkennen, dass in der Brosche die vorherigen Gegenstände noch in Teilen erkennbar sind.

Von der Kunst zum Schmuck, oder umgekehrt?

Erst die Kunst, dann der Schmuck. Ich bin nach Schwäbisch Gmünd gekommen, um Glasschmelzen zu lernen. Hier hatte ich auch meine erste Werkstatt, und die habe ich mit einem Goldschmied und zwei Goldschmiedinnen geteilt. In meinem ersten Jahr habe ich dort reine Proben gemacht. Glas ist ja immer anders, also habe ich viele Versuche gemacht, und daraus entstanden kleine, fünf auf fünf cm große Probestückchen. Und wenn man in einer Goldschmiedewerkstatt sitzt, kommt man natürlich auch auf die Idee, dass eines der Stücke auch eine Brosche sein könnte. Mit Broschen habe ich im Schmuckbereich angefangen. Durch die Goldschmiede war ja auch Material und Werkzeug vorhanden, und auch das Wissen! So kam ich zum Schmuck.

Neben Ihrer Arbeit sind Sie auch im Labor im Chor im Prediger ak­tiv…

Ja, die Galerie für angewandte Kunst betreibe ich mit den Keramikerinnen Maria Hokema und Angela Munz seit 2006. Angewandte Kunst ist ein großes, spannendes Feld. Hier geht es auch um gutes Design, Fertigungen aus kleinen, sehr spezialisierten Werkstätten bis hin zu freien Arbeiten wie in der letzten Ausstellung zum Thema „Gott und die Welt“. Wir zeigen die ganze Bandbreite zeitgenössischer angewandter Kunst. Wir geben uns ein Thema und suchen die Werke unserer Kollegen aus, die wir passend und relevant finden. Das mache ich total gerne. Ich stelle gern Ausstellungen zusammen. Das macht mir wirklich Freude.
 

Als Freischaffende Künstlerin zu ar­beiten, das erfordert sicher Mut… hat das mit Berufung zu tun?

Ich hatte Germanistik, Romanistik und vergleichende Sprachwissenschaften studiert. Sprache ist meine zweite Liebe. Ich finde finanzielle Unabhängigkeit sehr wichtig. Freischaffende Künstlerin zu sein war eine Entscheidung, auch für eine gewisse Unsicherheit. Was für ein Glück, dass es gut gegangen ist, und was für ein Geschenk, dies machen zu können. Ich denke, das ist wirklich mein Plat

Interview: Anja Deininger
Fotos: Andreas Wegelin

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