Im Gespräch

„Unsere mittelständische Wirtschaft findet seit 658 Jahren gute Lösungen“

30.11.2023 | 08:52

Industrie- und Handelskammer Ostwürttemberg

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Markus Maier und Thilo Rentschler erläutern, wie die IHK Ostwürttemberg agiert, um den wirtschaftlichen Wandel mitzugestalten

Die IHK Ostwürttemberg ist Ansprechpartner für rund 30.000 Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen in Sachen Interessenvertretung, hoheitlichen Aufgaben wie Aus- und Weiterbildung oder der Ausfuhr von Waren. Die selbstverwaltete Wirtschaft organisiert aber auch den Austausch der Mitgliedsunternehmen, informiert und vernetzt Unternehmer. IHK-Präsident Markus Maier und IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler gewähren im Gespräch Einblicke in anstehende Aufgaben der Kammer und beleuchten den Transformationsprozess in der regionalen Wirtschaft.

Herr Präsident Maier, Herr Hauptgeschäftsführer Rentschler, was treibt die Unternehmen in diesen Zeiten nach Pandemie, russischem Angriffskrieg und geopolitischen Verwerfungen am meisten um?

 

Markus Maier: Vieles, leider vieles fordert die Unternehmen. Je nach Branche sind die Herausforderungen unterschiedlich gewichtet. Die Notwendigkeit, bei allen diesen Herausforderungen flexibel und schnell zu reagieren, ist auf jeden Fall mächtig gewachsen. Ein Unternehmer muss heutzutage in allen Bereichen mit den rasanten Veränderungen in der Arbeits- und Produktionswelt Schritt halten. Das komplexeste Problem ist der zunehmende Mangel insbesondere an Fach- und ebenso an Arbeitskräften. Sie können als Unternehmer nur Ertrag generieren, wenn es Mitarbeitende gibt, die etwas produzieren oder eine Dienstleistung erbringen, die dann zu auskömmlichen Preisen auf dem Weltmarkt verkauft werden kann.

 

Thilo Rentschler: Das gravierendste Problem für die Unternehmen ist aus meiner Sicht der demografische Wandel, weil wir dabei nicht schnell gegensteuern können. Wir laufen in eine Situation hinein, die so noch nie da war. Denn die Babyboomer-Generation wird ab jetzt in den Ruhestand gehen, und wir können anhand der Statistik genau ausrechnen, wie viele – oder schlimmer gesagt – wie wenige nachkommen werden. Es droht ein Schrumpfungsprozess, auf den wir so nicht wirklich vorbereitet sind. Transformation, Digitalisierung, Energieversorgung, Künstliche Intelligenz – das sind allesamt zwar komplexe Themen, die aber nach und nach mit Vernunft, gemeinsamen Anstrengungen und einer soliden Politik lösbar sind.

 

Können Sie noch ruhig schlafen, wenn Sie an die daraus resultierenden Herausforderungen denken?

 

Markus Maier: Ja! Unsere mittelständische Wirtschaft findet seit Jahrhunderten Lösungen – wenn auch nicht immer ohne Schrammen. Wir setzen auf die Kreativität unserer Unternehmen und ihrer Unternehmerschaft. Verwaltung und Politik müssen einen verlässlichen Rahmen vorgeben, um Innovationen zu ermöglichen und gleichzeitig den Transformationsprozess zielgerichtet zu unterstützen. Je schwieriger die Zeiten, umso wichtiger ist das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft.

 

Thilo Rentschler: Der wichtigste Hebel für die Unternehmen wird eine weitere Automatisierung der Produktion sein, gerade auch für die kleinen und mittleren Unternehmen, die diesem Thema bislang vielleicht noch keinen so hohen Stellenwert beigemessen haben. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Unterfangen mit gemeinsamen Kräften gelingt.

 

Herr Maier, auch in Ihrem Unternehmen ist der Generationenwechsel vollzogen. Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?

 

Markus Maier: Mit unserer neu aufgestellten Firmen-Gruppe werden wir alles daransetzen, die Marktchancen zu nutzen. Dabei sind die aktuellen Themen wie Künstliche Intelligenz und unabdingbare Anforderungen wie CO2-Neutralität starke Treiber. Ich bin davon überzeugt, dass es uns mit der neu formierten operativen Führung gelingt, die Dynamik und das Lebens- und Arbeitsgefühl der jungen Generation mit dem Wissens- und Erfahrungsfundus der älteren zu verbinden. Gleichgültig wie ein Unternehmen aufgestellt ist, es muss Lösungen für die Themen der Zukunft erzeugen, die der Markt braucht, für die der Kunde bereit ist zu bezahlen. Nur so sichern wir Beschäftigung und damit Wohlstand.

 

Haben sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen also verschlechtert oder verbessert?

 

Markus Maier: Die unternehmerischen Herausforderungen sind immens. Die Bürokratie hat trotz aller Beteuerungen weiter zugenommen und behindert viele Entscheidungen, gut gemeintes sollte durch gut gemachtes ersetzt werden. Dies ist ein Bereich, es gibt leider zahlreiche andere. Gemeinsam mit Politik und Wissenschaft analysieren wir in Ostwürttemberg die Probleme – nachzulesen beispielsweise in unserem Masterplan Ostwürttemberg 2030. Er ist der 2021 gestarteten Zukunftsoffensive entsprungen. Wir sind eine hellwache Region, die sich den Zukunftsaufgaben stellt und den Anspruch hat, den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich zu bewältigen.

 

Thilo Rentschler: Ich würde sagen: sowohl als auch. Die Energiewende ist notwendig, aber in dem vorgegebenen Rahmen nicht realistisch leistbar. Die zeitlichen Dimensionen müssen stärker berücksichtigt werden. Exemplarisch gesprochen sehe ich dieses Problem nicht als 100-Meter-Lauf, sondern eher als Langstrecke an. Wandel benötigt auch Zeit und Ressourcen. Unsere über 650-jährige Wirtschaftstradition verpflichtet. Wir stehen vor gewaltigen Umbauten unserer Infrastruktur auf dem Energiesektor. Die Energie muss – auch regional und lokal – dorthin, wo sie gebraucht wird. Die Kehrseite wäre, um das zu betonen, dass wir in der Region energieintensive Unternehmen verlieren würden.

Ein weiteres Beispiel ist die Automobilwirtschaft: Wir werden so schnell vom Verbrennungsmotor gar nicht ganz wegkommen, wenn Sie nur an den Sektor der Nutzfahrzeuge denken. Einige Unternehmen werden beim Thema Brennstoffzelle ganz gut mit dabei sein. Und schließlich war es richtig, dass wir uns mit der Zukunftsoffensive Ostwürttemberg als eine von bundesweit 30 Modellregionen in Sachen Transformation sofort auf den Weg gemacht haben. Das war keine Minute zu früh. Damit fließen Fördermittel des Bundes für die Transformation auch in unsere Region.

 

Ist die Industrie also Treiber der Zukunftsthemen?

 

Markus Maier: Das ist der Antrieb, Lösungen für die Zukunft anzubieten. In unserer Zukunftsoffensive steckt drin, wie wir unsere Zukunft mitgestalten wollen. Die IHK Ostwürttemberg hat sich mit weiteren gesellschaftlich relevanten Akteuren mit der Zukunftsoffensive an die Spitze der Bewegung gestellt. Wir weisen auf Missstände hin, schimpfen jedoch nicht platt auf den Staat. Wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.

 

Herr Rentschler, hätten Sie bei Ihrem Wechsel in die Hauptgeschäftsführung der IHK vor zwei Jahren gedacht, dass Sie sich mit derart vielen Verwerfungen auseinandersetzen müssen?

 

Thilo Rentschler: Nein! Nach den Einschränkungen durch die Pandemie und den bereits bestehenden Verwerfungen – Stichworte Trump, Johnson, Brexit, Einschränkungen im Welthandel – kam es zum Auftürmen weiterer Herausforderungen, die weder in ihrer Komplexität noch ihrer Geschwindigkeit vorherzusehen waren. Ein Auseinandersetzen mit dem barbarischen Angriffskrieg Russlands, einem resultierenden Energienotstand mit drohender Gasmangellage und das komplette Unterbrechen von Lieferketten bei Rohstoffen standen nicht in der Arbeitsplatzbeschreibung. Die Themen Wasserstoffversorgung für die Region, das Angehen des Fachkräftemangels sowie das Verbessern der Start-up-Landschaft, wie es bei der Zukunftsoffensive im Masterplan festgeschrieben wurde, sind notwendigerweise durch die Eigeninitiative der regionalen Akteure hinzugekommen.

 

Herr Maier, wie sehen Sie die IHK Ostwürttemberg nach zwei Jahren mit neuer Hauptgeschäftsführung aufgestellt?

 

Markus Maier: Wir haben zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Akteur gefunden, der exzellent vernetzt ist – auch über die Region hinaus. Oberbürgermeister a.D. Thilo Rentschler hat sehr wertvolle Erfahrungen miteingebracht in die Weiterentwicklung unserer Kammer und weit darüber hinaus. Die IHK ist voll und ganz da. Das Präsidium und die Hauptgeschäftsführung arbeiten sehr gut zusammen und können sich auf eine erfahrene, leistungsfähige IHK-Mannschaft verlassen. Ganz wichtig ist, dass die IHK drei wichtige Bereiche zusammenbringt: Wissenschaft, Politik und die Unternehmerschaft. Gemeinsames Vorgehen wird organisiert, ebenso wie zielgerichtete Lösungen.

 

Thilo Rentschler: Gerne ergänze ich, dass dank einer hilfreichen Förderung des Bundes von gut investierten 5 Millionen Euro ein Transformationsnetzwerk aufgebaut werden konnte. Nur im Zusammenspiel aller maßgeblichen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik können sinnhafte Projekte erarbeitet werden. Bei der Zukunftsoffensive haben über 400 Mitstreiter eine gemeinsame Strategie entwickelt. Als Region der kurzen Wege sehen wir uns als modellhaft an und gehen selbstbewusst voran.

 

Nochmal zurück zur Fachkräftesicherung. Was ist notwendig und was steht auf Ihrer Agenda?

 

Markus Maier: Dieses Problem ist vor Ort nicht allein lösbar. Die Babyboomer machen sich auf den Weg in den Ruhestand. Wir brauchen Zuwanderung von außen, wir brauchen das moderne Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Darüber hinaus müssen wir versuchen, alle Potenziale zu mobilisieren. Da spielt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle, weil viele Frauen sich dann mehr einbringen können. Und wir müssen diejenigen abholen, die bislang nicht eingebunden sind und eine geringe Perspektive haben. Beispielsweise über das Programm „Unsere Jobs – Ihre Chance“ wollen wir Langzeitarbeitslose an Arbeit heranführen. Wir müssen beim Thema Arbeitskräftegewinnung alle uns zugänglichen Kanäle öffnen.

 

Thilo Rentschler: Zwei Hebel werden entscheiden, ob die Fachkräftesicherung gelingt. Durch eine stärkere Automatisierung bzw. Digitalisierung in Kombination mit Künstlicher Intelligenz werden weniger Mitarbeitende benötigt. Durch Qualifizierung im Job und lebenslanges Lernen müssen Beschäftigte fit für ihre Aufgaben gehalten werden. Beides sind Voraussetzungen, um unseren Wohlstand zu halten.

 

Markus Maier: Wir werden auch alle Vorteile technologischer Neuerungen nutzen. Enge Reglementierungen helfen da übrigens nicht weiter. Wir müssen die positiven Dinge beispielsweise an der Künstlichen Intelligenz sehen und sie im Betrieb einsetzen – zum Wohle und dem Erhalt unserer Wirtschaft wie der Gesellschaft.

 

Thilo Rentschler: Als IHK Ostwürttemberg verweisen wir zudem gerne auf Qualität wie Quantität der Dualen Ausbildung in unserer Region. Trotz Demografie und den Folgen der Pandemie sowie der konjunkturellen Schwäche haben wir die Zahl der neuen Auszubildenden 2023 erneut deutlich erhöhen können – vor allem im gewerblich-technischen Bereich sind die Zahlen so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das stimmt uns positiv. Auch 2024 werden wir versuchen, allen jungen Menschen, die sich für eine Duale Ausbildung interessieren, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.

 

Markus Maier: Im Übrigen: Als IHK Ostwürttemberg betreiben wir in Aalen eines der modernsten Bildungszentren des Landes. In dem erst sechs Jahre alten Zentrum werden 2023 rund 80 Auszubildende überbetrieblich ausgebildet. Sie sind bei über 30 Firmen aus der gesamten Region angestellt. Der Schwerpunkt der Ausbildungsmöglichkeiten liegt auf dem für die Region wichtigen Bereich der Metallbearbeitung und der Elektrotechnik. Weiterbildung und Qualifizierung vervollständigen das Angebot.

 

Meine Herren, herzlichen Dank für das Gespräch.

Autor: Sascha Kurz
Fotos: Andreas Wegelin

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